Vergleichen ist menschlich

von Svenja Höse

Ich bin besser als du

Linda läuft schon mit 10, Torben mit 18 Monaten, Matthias schreibt ne 1 in Mathe, Sophie nur eine 3, Tobias von nebenan hat nur den Hauptschulabschluß, Mareen das Abitur geschafft, Firma XY macht 2Millionen Jahresumsatz, Firma A bis Z nur 1 Million.

Es ist überall zu finden, es ist immer das Gleiche. Irgendwer kann etwas schlechter oder besser oder früher oder größer, höher, weiter als wir.

Das beginnt schon im Kindesalter. Es wird verglichen was das Zeug hält. Und das natürlich nicht neutral. Überall wo verglichen wird entstehen starke Emotionen. Die, die vermeindlich etwas nicht so gut können oder erreicht haben fühlen Neid und Missgunst, die, die angeblich mehr geschafft haben fühlen Überlegenheit und Schadenfreude.

War das schon in der Kindheit so?

Die ganz kleinen Kinder vergleichen noch gar nicht. Sie haben ihren ganz eigenen Entwicklungsplan, sind angetrieben von hoher innerer Motivation. Wenn sie hinfallen stehen sie immer wieder auf, bis sie krabbeln, sitzen und laufen können. Sie sprechen immer wieder das eine schwierige Wort, bis sie es sagen können. Und dabei ist es kleinen Kindern völlig egal, wann das ist. Und es ist ihnen völlig egal, ob ein anderes Kind das vielleicht schon kann. Sie sind ergeizig, angetrieben vom eigenen Motor, sie erreichen alles irgendwann alle.

Und plötzlich geht es dann leider doch los. Sie stellen fest, das ein anderes Kind etwas hat oder kann, was sie nicht haben oder noch nicht können. Ich würde sagen, so ab 2-3 Jahren entwickelt sich das. Auch hier, bei dem einen Kind früher, bei dem Anderen später.

Dann stellen sie fest, das sie ein ganz eigenes Individuum sind. Eine eigene Persönlichkeit. Das sie Dinge besitzen können und das andere andere Dinge besitzen und anders sind, als sie selbst.

Aus eigenem Erleben werden Geschwisterkinder hier sehr bewusst konfrontiert, das sie unterschiedlich sind. Zum einen aufgrund des Altersunterschiedes, zum anderen aufgrund des Verhaltens der Eltern den Kindern gegenüber.

Vieles wird von den Eltern vorgelebt und geprägt. Auch hier wird immer verglichen. Schon in der Schwangerschaft – mensch, bei Kind 1 warst du irgendwie runder. Nach der Geburt – mit wem hat er nun mehr Ähnlichkeit? Hat Kind 1 auch so viel geschrien? Welches Kind ist denn anstrengender, konnte schneller krabbeln oder früher sprechen?

Später dann vergleichen die Geschwisterkinder sich untereinander, aber auch das Verhalten der Eltern den Kindern gegenüber. Du hast schon viel öfterer mit Papa gekuschelt, du hast von der Mama schon viel mehrer Gummibärchen geschenkt bekommen. Und das ist für beide Seiten nicht einfach. Für die Kinder, die lernen müssen, das nicht immer alle Kinder gleich behandelt werden können (weil das eine Kind vielleicht schon 3 Jahre älter ist und mehr darf oder braucht) und zum anderen für die Eltern, die hier ein gesundes Mittelmaß für alle Kinder finden müssen, damit sich Keines benachteiligt fühlt.

Doch die Familie ist das eine, die weite Welt das andere. Während Geschwisterstreitereien normal und wohl auch für eine gesunde Sozialentwicklung nötig sind, ist die Krippe, der Kindergarten, die Schule und die Berufswelt nochmal etwas herausfordernder und oft auch härter.

Ich kann mich noch an meine Praktika im Kindergarten erinnern, wo wirklich hart gehänselt wurde. Das eine Kind lachte böse über ein Anderes. „Ellabätsch, ich bin schon viel größer als du, du kleines Baby“. Ein Anderes schubst das andere Kind – „guck mal, ich bin viel stärker, obwohl du älter bist“. Oder am Spielzeugtag „schau mal, ich habe einen viel tolleren und größeren Bagger dabei, als du mit deinem Minifeuerwehrauto“. Das tut kleinen Kinderseelen genauso weh, wie uns Erwachsenen.

Auch in der Schule denke ich an so einige Situationen zurück, die für alle Beteiligten emotional waren. Dem Einen durch große Freude über seine 1 in Mathe, dem anderen große Trauer über seine 3, obwohl er genau so viel gelernt hat.

Was mich manchmal aber auch traurig macht – Noten sind Zahlen, und während der eine ein sehr guter Schüler ist, in jedem Fach nur 1er schreibt, für den kann eine 2 eine Lebenskrise sein. Für den anderen, der Schwierigkeiten in einem bestimmten Fach hat, und dort nur 4er schreibt, für den kann eine 3 eine riesen Motivation sein, Antrieb, Bestätigung, das die Mühen sich gelohnt haben. Das Kind hat also zum einen die eigenen Gefühle und Bewertungen über die eigene Leistung, zum anderen kommen von aussen andere Bewertungen dazu. Die Musterschülerin mit der ausnahmsweise geschriebenen 2 wird vielleicht trotzdem neidisch beäugt von den schlechteren Schülern. Das Kind, das stolz endlich eine 3 geschrieben hat wird vielleicht von besseren Schülern trotzdem gehänselt, weil alle anderen besser waren als es selbst. Und das prägt.

Innere Bewertung – äußere Bewertung

Während uns selbst Vergleiche und Bewertungen als Kinder alle geprägt haben, wir durch diese gestärkt oder geschwächt groß wurden, große Selbstsicherheit oder starke Unsicherheit entwickelten, das Gefühl haben etwas Besonderes zu sein, oder auch die totale Niete wird es noch viel heftiger, sobald wir Eltern werden.

Wir vergleichen hier nicht nur uns selbst – was können wir als Eltern alles besser oder schlechter, sondern wir beginnen auch noch, unsere Kinder zu vergleichen.

Sei es in der eigenen Familie – Lukas kann fei schon laufen obwohl er jünger ist als deine Emma – oder am Spielplatz mit fremden Eltern: Ellen klettert fei schon höher, als dein Julius.

Schön sind auch Vergleiche was das Familienleben im Gesamten angeht. Der protzige Familien-SUV wird neidisch beäugt von einer Familie, die sich vielleicht nur einen kleinen Fiat Punto leisten kann oder sogar gar kein Auto hat.

Luisa kommt von der Schule nach hause und erzählt betrübt, das Jenny 3 Wochen in die Südsee reist, und sie selbst mit ihrer Familie nur zum Bauernhof fährt.

Für uns Eltern sind also hier noch mehr Gefühle im Spiel, als wenn wir nur für uns alleine denken und fühlen. Zum einen der eigene Neid, die eigene Freude, etwas nicht zu haben oder als einziger zu besitzen, zum anderen das Kind, das ab einem bestimmten Alter durchaus auch bemerkt, das es schickere Klamotten trägt, als die Nachbarskinder oder eben auch bestimmte Dinge wie z.B. ein Handy nicht besitzt, obwohl alle Kinder in der Klasse schon eines haben.

Verglichen wird immer, überall, zu jeder Zeit

Vergleichen ist also ein völlig normales, menschliches Verhalten.

Doch wie gehen wir nun genau damit um?

Ich glaube, ein gesundes Mittelmaß zu finden ist gesund. Sich einzugestehen, das es immer Menschen geben wird, die bestimmte Dinge besser können, erfolgreicher sind als man selbst, unsere Wünsche und Ziele besitzen, während wir noch hart daran arbeiten oder diese nie erreichen werden. Und andererseits aber auch bei sich selbst zu bleiben und zu sehen, was wir können und haben. Wir besitzen vielleicht nicht das schicke Auto der Nachbarn, dafür haben wir vielleicht mehr Zeit für unsere Kinder, weil wir keine 60 Stunden in der Woche arbeiten gehen müssen.

Unser Kind kann mit 16 Monaten noch nicht laufen wie das Kind der Freundin? Dann kann unseres vielleicht dafür schon einzelne Worte sprechen oder schon selbst mit dem Löffel essen, während das schon laufende Kind noch brabbelt und am Tisch eine Sauerei veranstaltet, als gäbe es kein Morgen mehr.

Und sind wir selbst in der glücklichen Lage, eine Mustersportlerin als Tochter zu haben, die nur die höchsten sportlichen Leistungen erreicht, nicht gehässig über einen schlechteren Schüler zu denken, der in Sport große Schwierigkeiten hat, sondern vielleicht mal hinter die Kullissen zu gucken und zu bemerken, das es vielleicht körperliche Einschränkungen hat, einen Unfall hatte, oder ganz einfach den Schwerpunkt in der Entwicklung auf andere Fähigkeiten gelegt hat.

Ein bischen Neid und Schadenfreude ist normal

Jeder kennt das Gefühl. Mensch, wie gerne hätte ich auch im Lotto gewonnen.

Oder auch das Gegenteil- haha, während ihr alle Arbeiten müsst darf ich nun 2 Wochen in Spanien am Strand liegen.

Ich glaube, das ist ein völlig normales und menschliches Verhalten. Es sollte sich nur die Waage halten. Wenn ich immer das Gefühl habe schlechter zu sein als andere, das mein Kind überall hinten dran ist, dann sollte ich hier vielleicht meine eigene Denkweise hinterfragen. Ist es wirklich so, oder kann ich vielleicht meine eigenen Leistungen und die meines Kindes garnicht erkennen. Oder habe ich gelernt, das ich garnicht zeigen darf, das ich auch erfolgreich sein kann, weil ich es als Kind erlebt habe, das mir Erfolg nicht gegönnt wurde? Habe ich vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht, weil mir meine Leistung kaputt gemacht wurde? Ich vielleicht sogar von Mitschülern dafür bestraft wurde, wenn ich besser war als sie?

Oder durfte ich nie ein Individuum sein? Wenn ich von meinen Eltern und meinem Umfeld immer gehört habe, das ich so wie der geliebte Neffe sein muss ist es schwer, die eigenen Ressourcen hervorzubringen. Stellst du für dich fest, das du hier tatsächlich Schwierigkeiten hast kannst du vielleicht mit einem professionellen Gespräch Lösungen für dich, aber vorallem auch für dein Kind finden.

Im Gegenzug dazu, wenn ich mich immer besser darstelle und die Leistungen anderer schlecht mache, um jedem zu vermitteln, das ich mehr kann oder toller bin als mein Umfeld, sollte ich mich auch fragen, woher dieses Verhalten kommt. Wurde mir vielleicht immer vermittelt, das ich besser oder wichtiger bin als andere? Oder zeigt sich hier gar eine große Unsicherheit und Versagensangst, weil ich als Kind erlebt habe, wie schrecklich es sich anfühlt schlechter zu sein als andere? Wer mit seinem schicken Auto protzt will zeigen, das er viel Geld hat und einen Status besitzt. Hinter den Kullissen zeigt sich dann aber vielleicht ein ganz unsicherer Ehemann, der von seinen Arbeitskollegen gemobbt wird oder der drei Köpfe kleiner ist als der Männerdurchschnitt und das versucht zu kompenzieren.

Aufgeregt, Person, Glücklich, Jung, Frau

Daher – schaue genau auf dich, bleibe ganz bei dir. Was für Gefühle sind im Spiel. Was kannst du und wo liegen deine Stärken. Und welche Bereiche gibt es, die einfach nicht dein Schwerpunkt sind. Wir können nicht überall gut sein, wir können nicht alles. Und so muss auch unser Kind nicht alles können oder in jedem Bereich Einser schreiben.

Und das zu akzeptieren ist schon ein großer Schritt.

Und wenn wir mal Neid ( mit einer kleinen Portion Missgunst) und mal Freude (und ein Kleks Überheblichkeit darf auch mal sein) empfinden, und unser Leben sich dadurch in der Waage hält werden wir bis ins hohe Alter zufrieden sein können. Und unsere Kinder werden ebenso empfinden.

Wenn wir es auffangen können, wenn es über die Leistungen anderer neidisch ist, und ihm aber die Besonderheiten und das Können des Kindes aufzeigen können, es lieben und unterstützen in seinem Kummer, dann lernt das Kind, mit diesem (normalen) Gefühl umgehen zu können.

Wenn ein Kind vor Freude über eine gute Note nachhause kommt und aber schäbig lacht, weil ein bestimmtes Kind schlechter war, dann dürfen wir uns mit dem Kind mitfreuen über die gute Note, dürfen aber dem Kind auch vermitteln, das die Note des anderen für das Kind vielleicht selbst enttäuschend ist, oder das das Kind dafür in anderen Schulfächern gut ist. So lernt unser Kind auch einen gesunden Umgang mit Freude und dem „in bestimmten Bereichen“ vielleicht besser zu sein, als in anderen.

Es lernt, das seine Gefühle Raum haben. Und es lernt, das auch die Gefühle anderer Raum haben. Und das vergleichen völlig normal ist. Für beide Seiten.

Und manchmal dient der Vergleich mit anderen auch einem gewissen Ansporn. Der Nachbar spricht fliesend englisch und du nicht? Ja, warum dann nicht einfach einen Englisch-Kurs besuchen und die eigenen Fähigkeiten ausbauen?

Dein Kind schafft noch keinen Purzelbaum, obwohl es alle anderen in seiner Gruppe können? Na dann los gehts, übe mit deinem Kind, zeige ihm wie es geht und das das viel Spaß macht. Wende das Blatt zum Positiven und motiviere dein Kind.

Genau so funktioniert es übrigens auch in allen Disziplinen, wo Menschen gegeneinander antreten. Klassisch im Sport. Jeder will der Schnellste sein, das spornt an. Es wird noch härter trainiert und noch ehrgeiziger gestartet. Und so treten die besten aller besten gegeneinander an, ob bei Olympia oder einer WM und duellieren um die ersten Plätze. Und wir – obwohl wir diese Leistungen nie erreichen schauen gerne dabei zu. Vergleichen muss also tatsächlich nicht mal negativ sein. Betrachte es doch mal von der Seite. 🙂

Ich wünsche dir also ein ausgeglichenes Leben voller“ ich bin hier besser als du“ und „Mensch, das hätte ich auch gerne“.

Und sei dir immer bewusst – Du bist auf deine Weise etwas ganz Besonderes. So wie du ist keiner. Und auch dein Kind ist ganz besonders einmalig. Mit all seinen Stärken und Schwächen.  Zeige deinem Kind, das du es liebst, das du hinter ihm stehst und das du alle Hürden des Lebens mit ihm gemeinsam gehst. So kann es gesund und stark groß werden und auch mit Situationen umgehen, wo es vielleicht Enttäuschungen oder Frust erlebt, weil es vielleicht mal schwächer ist als andere. Und es kann aber auch die Stärke entwickeln, für andere Kinder da zu sein, die an anderen Tagen schwächer ist als es selbst.

Was hast du für Erfahrungen gemacht? Wie gehst du mit „Vergleichen“ um? Vielleicht hast du ja noch einen tollen Tipp, mit dem du selbst gut damit umgehst?

Ich freue mich von dir zu lesen.

Alles Liebe, deine Svenja, Fachkinderkrankenschwester, Osteopathin, Heilpraktikerin und 3-fache Mama

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Svenja Höse

Kinderkrankenschwester, Heilpraktikerin
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